Page 18 - Günter Beier: Terra cognita
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Mit Macht befördert die Pandemie das Nachdenken über gesunde Lebens-
          mittel, Bioanbau, lange Lieferketten versus regionale Distributionsformen
          sowie die Selbstversorgung. In jedem von uns steckt plötzlich ein Gärtner,
          so könnte man meinen.
          Beier widmet sich schon seit einigen Jahren dem Saatgut und damit der viel
          geschmähten Scholle, die unter Corona-Einfluss ihr Spießerimage verliert
          und zum Ideal der Eingesperrten und auf Industrielebensmittel angewiese-
          nen Konsumenten wird. Beiers Arbeiten dürfen als prophetische Einlassun-
          gen betrachtet werden ebenso wie die Modelleisenbahn-Persiflagen – Kie-
          fern mit einem breiten Fuß, der wie eine Säulenbasis aussieht –, das neue
          Heimatgefühl umkreisen.


          Im Jahr 2003 entstand das Gemälde „Gartenindylle“. In mehreren Bildern
          widmet sich der Künstler der Struktur eines Vogelnestes. Seine malerischen
          Auswüchse verklären indes nichts. Beier pflegt die Kunst des Aperçu, wäh-
          rend er immer neue (Bühnen-)Bilder für sein Trivialtheater schafft.


          Die Arbeiten, die sich mit Sämereien befassen, weisen den Maler einmal
          mehr aus als Neo-Pop-Art-Vertreter.

          In der Tradition von Roy Lichtenstein, James Rosenquist oder Mel Ramos
          werden – wiewohl Beier die Pop-Größen ausdrücklich nicht zu Vorbildern
          zählt – Alltagsgegenstände und Massenprodukte leuchtend überhöht. Dank
          Selektion und Komposition erscheinen sie wie Solitäre. Marginales wird auf-
          gepoppt, der Betrachterblick gelenkt auf das Nebensächliche als das be-
          sonders Köstliche.


          Passend zur neuen Empathie-für-Flora-Welle, die gegenwärtig im Kielwas-
          ser der Anthropozän-Erleuchtungen und Klimadebatten die Kunstinstituti-
          onen erfasst und Künstler hoch schwemmt, die Pflanzen und Früchten eine
          Stimme geben, stellt uns Günter Beier die Besonderheiten von Samentüt-
          chen vor: Wie auch die Randfiguren der Modelleisenbahn zeichnen diese
          Stereotypen aus – bezüglich von Format und grafischer Gestaltung. Bere-
          chenbarkeit geht vor Wildwuchs, Standard vor Extravaganz.








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