Page 5 - Albrecht Wild
P. 5
DAS PRINZIP DER ANEIGNUNG Bei uns weniger bekannt sind die Assimilationen, mit denen man Alles das wird in den Arbeiten Albrecht Wilds durch die Auswahl,
die Trinkkultur des Westens den kulturellen Gewohnheiten in Ja- die Fragmentierung und die Neukombination und Überarbeitung
KULTURELLER INFORMATIONS- pan angepasst hat. Schon in den Maschinen der Fluggesellschaften, der Teile des gesammelten Materials ersetzt. Dies entspricht dem
TRÄGER: die westliche Besucher in den fernen Osten bringen, wurden die Prinzip der Aneignung von kulturellen Informationsträgern. Dabei
übernommene funktionale Form des Bierdeckels mit traditionellen
entsteht bei der Bildfindung auch jeweils ein neues, eigenes Format.
zu den Werken von Albrecht Wild
japanischen Motiven verbunden. Pausbäckige deutsche Serviererin- Die Größe des Bildes und der Verlauf seiner Ränder entwickeln sich
nen mit Trachtenhut wurden durch japanische Geishas ersetzt, die jeweils aus der Kombinatorik der Einzelteile und ihrer Verarbeitung.
ebenfalls einem konservativen, aber eben auch einem klischeehaf-
ten, von Neuankömmlingen leicht zu entschlüsselnden kulturellen Dieses brutalistische Prinzip wurde schon in Wilds Graumalerei der
Codex entsprachen. Neunzehnhundertachtziger Jahre sichtbar, bei der das rechteckige
Format verlassen wurde, und die Außenformen der Leinwände - Duchamp entwickelte die künstlerische Strategie des Ready Mades, der Information, sowie ihre Herstellung, ihre Verbreitungswege und
meist aus abstrakten Kreissegmenten - als Teil seiner Bildkompositi- indem er Objekte aus der industriellen Massenproduktion, die nach ihre Rezeption (die Art, wie sie gelesen werden).
3. Aneignung und Kontextualisierung als onen genauso wie die Formen in der Bildfläche selbst vom Künstler der Gestaltung eines beauftragten Designers geformt und in Serien
künstlerische Strategie definiert und bearbeitet wurden. hergestellt worden waren, in den Kontext von Kunstgalerien, Mu- Ganz konkret handelt es sich dabei um die Druckerzeugnisse der
seen, Ausstellungen und Sammlungen, und damit in den künstleri- Massenkultur, um Marketingartikel der Hersteller und Unterneh-
Bierdeckel in einer Kunstgalerie verleiten uns deshalb zum Schmun- Um an sein mediales Rohmaterial heranzukommen agiert Albrecht schen Fachdiskurs einbrachte. Er stellte damit die Qualität und Ob- men, beispielsweise um die Plakate, die für Produktserien, ebenso
zeln, weil sie Gewohntes gegen Ungewohntes vertauschen. Sie Wild nicht nur auf der Ebene des Sammelns und des Auswählens, jektivität dieses Fachdiskurses und der darin enthaltenen Kunstkritik wie für die Events von Kulturinstituten wie Museen, Kunsthallen
Der Bierdeckel als Beispiel für das Phänomen der entsprechen damit der Strategie der Verfremdung und stehen aber also in den Prozessen der persönlichen Entscheidungen. Es ist auch in Frage. Akademisch ausgebildete und erfahrene Fachleute sahen oder Galerien oder Verlagen werben.
wechselseitigen Vereinnahmung von fernöstlicher auch für einen Positionswechsel des Künstlers, der diese Arbeiten das unvorhersehbare Sammlerschicksal, das zufallsgesteuert zum sich plötzlich mit Konsumobjekten konfrontiert, die normalerweise
und westlicher Kultur. konzipiert und produziert hat. individuellen Erfolg führt, wenn der Künstler bestimmte Objekte von künstlerischen Laien im Rahmen einer trivialen Kaufentschei- Diese agieren in einem wesentlich komplexeren Feld der unbewuss-
findet, über Kontakte im Internet bekommt oder auf seinen Reisen dung nach persönlichem Geschmack ausgewählt wurden. ten Kommunikation als die Readymades des Industriezeitalters. Die
Im Westen wurden in den 1960er Jahren die japanische Teezere- Auf der Bedeutungsebene bricht die Verwendung fertiger Kultur- erhält und einbehält. auf ihnen verbreitete Information hat ihren eigenen Mehrwert, in-
monie als Symbol für eine differenzierte Hochkultur entdeckt, und produkte mit der Vorstellung, dass Kunst die Wirklichkeit darstellt. dem sie auf immaterielle Momente der Massenkultur und der Auf-
die Kampfsportarten Judo und Karate mit der damit verbundenen Sie bringt stattdessen Teile der Wirklichkeit selbst in die Arbeit hi- Alle diese Aspekte im Werk von Albrecht Wild stehen damit inso- 4. Vereinnahmung und Individualisierung merksamkeitsökonomie verweist, die in den Händen des Künstlers
emotionalen Selbstkontrolle zu einem generellen Lebens- und Er- nein. weit exemplarisch für eine Positionsänderung der künstlerischen Ar- von Massenphänomenen kreativ zerstört werden und dann zu neuen, individualisierten und
folgsrezept mystifiziert. Weltweit werden heute Meditationsprakti- beit, wie sie die traditionellen Ziele der Welterklärung durch Kunst nicht instrumentalisierbaren Bildwelten aufgebaut werden. Alb-
ken des Zenbuddhismus mit neuesten Erkenntnissen der Neurologie In materieller Hinsicht ersetzen Plakate und Bierdeckel als Bildträger verlässt und auf eine höhere Bedeutungsebene, der Metaebene des Albrecht Wild hat diesen Weg für sich weiterentwickelt: Er sammelt recht Wild behauptet sich als Individuum in einer gleichgerichtet
und Gehirnforschung zu einer globalisierten Achtsamkeitsphiloso- die vielleicht erwarteten Leinwandrahmen und Monitore. Zudem Diskurses über Kunst und Kultur, aufrückt und diesen be- und ver- und wählt die Readymades der kulturellen Produktion als Rohma- denkenden Informationsgesellschaft.
phie verbunden. fehlen das eigens entwickelte inhaltliche Motiv und die formalen arbeitet. Die Tradition dieser Denk- und Arbeitsweise beginnt mit terial, als found footage für seine Arbeit aus. Der Begriff Readyma-
Parameter der freien Komposition, des absichtsvollen Farbeinsatzes den objet trouvé des französischen Künstlers Marcel Duchamp in de bezieht sich hier nicht mehr nur auf die kulturellen Inhalte und Kai Bauer 2019
oder die individuelle Handschrift des Künstlers. den Neunzehnhundertzehner Jahren. Motive (die Geishas), sondern vor allem auf die Medien als Träger
Albrecht Wild, Mon Mon, 2018, Acryl, Öl, Hammerite Gold-Lack, Bitumen und Collagen auf Nessel, 150 x 150 cm.
Ausstellung „Cut & Paste“ im KVFM Kunstverein Familie Montez, Frankfurt am Main, 2018 (Foto: Horst Ziegenfusz)