Page 2 - Bean Finneran
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BAUEN UND ZERSTÖREN, WERDEN UND VERGEHEN:
Die Skulpturen der Künstlerin Bean Finneran
Schauen wir zurück auf die Geschichte der Skulptur, stellen wir fest, dass die Künstler vor allem während der letzten einhundert Jahre
immer wieder neue Materialien zur Herstellung von Skulpturen herangezogen haben. Viele Jahrhunderte lang, bis weit in das 19.
Jahrhundert hinein, wurden Skulpturen vor allem aus Bronze oder unterschiedlichen Gesteinen (Marmor, Granit) gefertigt. Zu Beginn
des 20. Jahrhunderts wurde – vor allem für die Deutschen Expressionisten – Holz zu einem wichtigen Werkstoff, am Bauhaus wurden
vereinzelt Glas und Kunststoffe benutzt und Marcel Duchamp erklärte einen Flaschentrockner zum Kunstobjekt.
handgerollten, leicht gebogenen Keramikstäben, die Finneran Genauso verhält es sich mit den Skulpturen Finnerans: Aus der
„curves“ (Kurven, Bögen) nennt. Aus diesem Grundmodul baut Nähe betrachtet gleicht kein Stab dem anderen. Besonders in
sie unterschiedlich geformte und beliebig große Skulpturen. Je der Länge wird variiert. Je größer eine Skulptur werden soll,
größer die Skulptur, umso mehr „curves“ werden benötigt. Die umso länger und dicker müssen die Stäbe sein.
Skulpturen werden nicht von einem inneren Gerüst getragen,
und es gibt auch keinen Styroporring oder Ähnliches, in den Jedes verwendete Element geht zuvor mindestens zweimal
die Keramikstäbe hineingesteckt werden. durch die Hand der Künstlerin: wenn es geformt wird, falls es
eine Glasur bekommt und schließlich wenn es bemalt wird.
Die Grundform der Skulptur, beispielsweise ein Oval, wird mit Von automatisierter Massenproduktion kann also nicht die
einer Schicht Stäbe angelegt, die flach auf den Boden gelegt Rede sein, zumal das Material Ton für Finneran ganz eng mit
werden. Dann beginnt die Künstlerin, kleine Bündel der kurvi- der Erde und der menschlichen Kultur verbunden ist. Aus
gen Keramikstäbe ineinander zu stecken. Einmal in der Verti- handgeformten Elementen entstehen abstrakte, geometrische
kalen angekommen, wächst die Skulptur, indem die Künstlerin Skulpturen, die aber wiederum nichts Starres haben, sondern
immer weiter Stäbchen in die vorhandene Grundkonstruktion lebendig aussehen und an pflanzliches Wachstum erinnern.
hineinsteckt. Die tatsächliche, endgültige Position der Stäbe Die Skulpturen sind einerseits kompakte Körper, die sich im
kann die Künstlerin nicht steuern, da die „curves“ durch ihr Raum behaupten, sind andererseits aber modular aufgebaut
Eigengewicht in die entsprechende Position gleiten. Der Zu- und müssen, wenn man ihren Standort verändern möchte,
fall ist hier folglich als Gestalter mit von der Partie. Die leicht komplett zerlegt und neu aufgebaut werden.
gebogene Form führt dazu, dass sich die Einzelelemente fest
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es für Künstler besonders Jahren entscheiden sich viele Künstler für Papier, Glas oder ineinander verhaken. Die Künstlerin steckt nun so lange weite- Aus den Gegensatzpaaren stabil – labil, geometrisch – orga-
spannend und ergiebig, mit wiederum neuen Kunststoffen zu Keramik. Aus diesen fragilen Materialien – vor allem Papier mit re Stäbe in die Skulptur, bis diese die gewünschte Größe und nisch, seriell – handgemacht, hart – weich, kompakt – mo-
experimentieren. Verschiedene Schaumstoffe und gummiarti- dauerhafter Skulptur in Verbindung zu bringen, fällt schwer – Form erreicht hat. dular ziehen die Arbeiten Bean Finnerans ihre Spannung.
ge Materialien hielten Einzug in die Skulpturproduktion, eben- werden großformatige, zum Teil an Installationen grenzende Aus harten, zerbrechlichen, handgeformten Grundelementen
so Textilien, Schrott und Alltagsgegenstände. Diter Roth be- Arbeiten geschaffen, denken wir an Karla Black (Papier) oder Die unglaubliche Menge an Stäben, aus der eine Skulptur von entstehen organische, in ihrer Kleinteiligkeit seriell wirkende
gann, mit Schokolade und Käse zu arbeiten. Der ursprüngliche Richard Deacon (Keramik). Finneran besteht – bei kleinen Skulpturen sind es etwa 400 geometrische Körper. Industrielle und natürliche Anmutung
Anspruch an Skulptur, sie müsse sozusagen für die Ewigkeit „curves“, bei großen bis zu mehreren zehntausend –, lässt an durchdringen sich: Wird man einerseits an Seeanemonen oder
gemacht sein und viele Jahrhunderte überdauern, verschwand Im Kontext dieser aktuellen Entwicklung steht auch das Werk Massenproduktion denken; es handelt sich aber um mühsam Antheren erinnert, fragt man sich andererseits, ob die Skulp-
im 20. Jahrhundert, da eine Skulptur nun nicht mehr eine Per- der amerikanischen Bildhauerin Bean Finneran. Sie hat vor mit der Hand gefertigte Einzelstücke. Die Herstellung unend- turen vielleicht aus weichen Gummischläuchen bestehen. Mit
son (Herrscher), einen Staat oder einen konkreten Wert (Stär- über 20 Jahren Keramik als Material für sich entdeckt und er- lich vieler „curves“ ist für Finneran eine Art Meditation auf gebranntem Ton würde man sie zunächst nicht in Verbindung
ke, Tugendhaftigkeit etc.) verkörperte, sondern vor allem Aus- schafft seitdem beeindruckende, großformatige Arbeiten. Alle die Vielfältigkeit der Natur – auch die Grashalme einer Wiese bringen.
druck einer künstlerischen Idee war. Seit ungefähr fünfzehn Skulpturen bestehen aus ein und demselben Grundmodul: aus
sind nicht identisch, obwohl sie ein einheitliches Bild ergeben.