Page 11 - Günter Beier: Terra cognita
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außer er heißt Karl May und kann sich alles zuhause ausmalen. Nur wer
            Menschen fremder Kulturkreise in ihrer Umgebung live begegnet, ihnen in
            die Augen schaut – und wenn es bloß auf dem Basar in Marrakesch ist, beim
            Souvenirkauf im ägyptischen Tal der Könige oder in der indischen Rikscha –
            umschifft den verengten Blickwinkel.

            Gegenwärtig stellt sich – mehr denn je in unserer fernwehhungrigen Welt,
            die erstmals mit dem Ritual der Grand Tour der Betuchten und Gebildeten
            eine touristische Nachfrage in größerem Stil kreierte und mit dem Siegeszug
            des Flugverkehrs für alle seit den 1960er Jahren und dem Pauschaltouris-
            mus offen für jedermann und vermeintlich grenzenlos wurde –, die Frage
            nach dem wahren Idyll. Durch den binnen weniger Monate zum potenziell
            alltäglichen Begleiter gewordenen coronabedingten Ad-hoc-Lockdown wird
            es dem Einzelnen unmöglich, weiterhin auf und in allen Kanälen die Sehn-
            süchte nach dem Weiten und Offenen auszuleben.



            Daheim ist jetzt das Andere.

            Günter Beier hat das Idyll und damit ein Surrogat zu seinem Thema gemacht.
            Abbildungen von idyllisch-heilen Landschaften aus Katalogen für Modellei-
            senbahnliebhaber bilden den Ausgangspunkt für die ironische Werkreihe
            „Idyllen“. Genüsslich begibt sich der Maler in der Art von Bad Painting auf
            das Terrain der kindlich bilderbuchhaften bodenständigen und verlässli-
            chen Schienenwelt, wo das Gleisbett selbst schon eine Art Bett im Kornfeld
            ist, Architekturen und Figuren stilisiert werden bis an die Grenze zur Karika-
            tur oder darüber hinaus.


            „Dass die Grabsteine auf dem Friedhof künstlich und die Figuren oft steif
            aussehen, ist natürlich gewollt“, schmunzelt Galeristin Erika Davis-Klemm.
            Beier, ihn küsst auch die satirische Muse; humorvoll hält er dem Betrach-
            ter mit kleinen, so gar nicht aufgemotzten Szenen den Spiegel vor. Sind wir
            wirklich so? Ja, so sind wir. Mein Fahrrad, meine Fleischwurst, meine Gar-
            tenhecke.










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